Velofahrkurse für Migrantinnen

In den Jahren 2015 bis 2018 hatte ich die Gelegenheit, am Velofahrkurs für Migrantinnen mitzuwirken. Das Ziel des Kurses war es, Frauen mit Migrationshintergrund das sichere Fahen mit dem Fahrrad im Strassenverkehr zu vermitteln und ihnen gleichzeitig die wichtigsten Verkehrsregeln beizubringen. Dazu möchte ich gerne folgende kleine Geschichte erzählen:

Vom Velo zum Flugzeug

Der späte Nachmittag war angenehm warm, als ich auf dem Platz ankam, wo wir unseren Velofahrkurs abhielten. Die Sonne ging langsam unter und brachte das Gelände zum Leuchten. Der Platz war noch leer, aber schon bald würde er sich mit Leben füllen – mit Frauen, die aus den unterschiedlichsten Ländern kamen und sich aufgemacht hatten, um etwas zu lernen, das für viele von uns selbstverständlich ist: Velofahren.

Als die ersten Teilnehmerinnen eintrafen, sah ich in ihren Augen eine Mischung aus Nervosität und Entschlossenheit. Sie alle hatten ein klares Ziel vor Augen: selbstständig sein, sich frei bewegen können, ohne auf jemanden angewiesen zu sein. Viele von ihnen lebten seit Jahren in der Schweiz, doch das Velofahren war für sie immer noch ein unentdecktes Terrain, das sie erobern wollten.

Der Kurs begann wie immer mit den Grundlagen. Wir zeigten den Frauen, wie sie auf dem Sattel sitzen sollten, wie sie das Gleichgewicht halten und wie sie die Pedale treten. Es war erstaunlich zu sehen, wie sehr sie sich anstrengten, wie fest entschlossen sie waren, diese neue Fähigkeit zu meistern. Der Ehrgeiz, den sie an den Tag legten, war bewundernswert. Es ging nicht nur darum, ein Fahrrad zu steuern – es ging um Unabhängigkeit, um Freiheit.

Ich half einer Frau namens Zahra. Sie war am Anfang besonders unsicher und hielt den Lenker so fest umklammert, als würde sie um ihr Leben fahren. Ich hielt hinten am Sattel fest und rannte mit ihr über den Platz, so dass sie nicht das Gleichgewicht verlor. Mit jedem Versuch wurde sie ein bisschen sicherer. Als ich spürte, dass sie soweit war, ließ ich den Sattel los, und sie fuhr plötzlich alleine weiter. Sie drehte sich um, ihre Augen strahlten vor Freude, als sie merkte, dass sie es geschafft hatte.

„Du hast es geschafft, Zahra!“ rief ich ihr zu, und sie lachte laut. Es war ein Lachen, das all die Anstrengungen der letzten Tage wert war. Es war, als hätte sie eine unsichtbare Grenze überschritten, die sie vorher zurückgehalten hatte.

Nach dem Kurs machten wir eine Pause. Wir setzten uns zusammen, teilten Darvida und Äpfel, und die Frauen erzählten mir von ihren Gründen, warum sie so dringend Velofahren lernen wollten. Eine wollte endlich selbst einkaufen gehen, ohne auf ihren Mann warten zu müssen. Eine andere wollte ihre Kinder mit dem Velo zur Schule begleiten. Es waren einfache Wünsche, die doch so viel bedeuteten.

Ich sah sie an und sagte: „Ihr macht das grossartig. Ihr lernt so schnell, und mit so viel Enthusiasmus! Ich bin sicher, dass ihr, wenn ihr das Velofahren gelernt habt, auch Autofahren lernen könnt. Und wer weiß, vielleicht macht ihr dann die Töffprüfung, und am Ende sitzt ihr im Flugzeug als Pilotinnen und fliegt über alle hinweg!“

Wir lachten alle laut. Der Gedanke war so absurd und doch so inspirierend. Wir stellten uns vor, wie es wäre, mit einem Mal vom Boden abzuheben, die Welt von oben zu sehen und zu wissen, dass alles möglich ist.

Dieser Kurs war nicht nur ein Velokurs. Es war ein Kurs in Selbstvertrauen, in der Freiheit und in der Vorstellungskraft. Vom Velo zum Flugzeug – warum nicht? Die Frauen hatten gezeigt, dass sie alles erreichen konnten, was sie sich in den Kopf setzten. Und wer weiss, vielleicht wird eines Tages wirklich eine von ihnen Pilotin sein und über uns hinwegfliegen, frei und unaufhaltsam!

Fazit: Schritt-für-Schritt in die Freiheit, Selbstständigkeit und Verantwortung!