Woher kommen diese Plastikblumen?

Woher kommen diese Plastikblumen?

Samen in der Erde. 
Die Samen spriessen in jedem kleinen Stückchen Erde, das sie finden können. 
Sie spriessen – gegen Verkrustung, gegen Sturheit, gegen Tod. 

Jedes Jahr im Frühling bricht Leben durch die Erde, eine Explosion von Farben und Formen – einfach so! 
Wozu diese Plastikblumen?

Was sagen uns die vielen Plastikblumen? 
Sagen sie, es ist die Erde, die erschöpft ist?
Oder sagen ist, es ist der Regen, der nicht mehr kommen will?

Oh Unachtsamkeit, oh Gleichgültigkeit, oh Mittelmäßigkeit, oh süsse Erschöpftheit… 

Das Gefühl der Leere, das uns umgibt, macht es uns verlockend leicht, das Künstliche zu akzeptieren. Plastische Chirurgie, um unser Verlangen nach Perfektion zu stillen; Plastik Kunst, die unsere fein gewebten Seelen abtötet; All unsere Narben und Wunden aus Beziehungen, die wir trotz alledem weiterführen – als Plastik Beziehungen. Plastikleben eben.

Warum diese Plastikblumen? Warum sind diese Blumen aus Plastik? 

Eine Schönheit, die keine Pflege braucht, verlangt auch keine Aufmerksamkeit, keine Achtsamkeit, keine Beziehung, kein Leben. 
Wo bleibt da die Suche nach Zusammengehörigkeit, die Sehnsucht nach Leben, das Verlangen nach Liebe? Wo bleibt das Lebendige?

Plastik-Beziehungen: gleiten sie in Erstarrung, Langeweile und Verkrustung ab oder entdecken sie immer wieder neu Lebendigkeit?

Ist das alles ein Ausdruck des flüchtigen Lebens, des Nicht-Festhalten-Könnens, des sich Nicht-Verwurzeln-Könnens und der Rastlosigkeit? Und immer wieder Ausdruck von Vergänglichkeit.

Wo bleiben wir darin? Sind wir wie Samen vom Winde verweht, ohne uns festhalten zu können, ohne Wurzeln schlagen zu können, gefangen in der Unendlichkeit oder werden wir selber zum Ausdruck eines spriessenden Lebens, das nicht festgehalten werden will, voller Lebenslust, die uns unsere Endlichkeit vergessen lässt?

Die Etiketten sind zerrissen, zerkratzt und verbogen, 
das Leben schien in ihnen verborgen. 
Und die alten Blechdosen, Konservendosen und Kanister, aus denen das Leben einst spross – sie schmücken die Fensterbänke nicht mehr!

Wo sind die Nachbarn, die einst stolz ihre Veilchensamen in den Sardinendosen aufzogen und ihre blühenden Knospen zeigten? 
Wo sind die Balkone, auf denen sich der Duft von Rosen und Geissblatt vermischten?
Wann haben die Hortensien aufgehört, in Blechdosen ein Zuhause zu finden?

Gibt es keinen Platz mehr für die kleinen und grossen Freuden des Lebens, die sich gegen das Chaos dieser fernen Städte gewehrt haben? 
Können die Wildblumen ihre Köpfe nicht mehr unter dem Schatten der Wolkenkratzer erheben? 
Ist der Duft der Narzissen in der Hektik der Städte verloren gegangen?

Das einfache Leben ist schwieriger geworden. 
Die Menschen haben sich den Städten ergeben. 
Zusammengepresste Menschen, PVC-Fenster, Gummipantoffeln, Plastikfernbe-dienungen, Nylon-Beziehungen – ein Leben aus Plastik, das sich ohne Aufwand, ohne Pflege, ohne Bewässerung in den Zimmern breit gemacht hat. 
In einer Welt, die sich nach Echtheit sehnt, wachsen die Plastikblumen immer weiter, unbeeindruckt und ohne Berührung mit der Vergänglichkeit des Lebens, das sie vergeblich zu imitieren versuchen.

Plastikblumen, die so lange bleiben, bis ihren Besitzern irgendwann ihre ‘Lust-auf-Plastik’ vergangen ist.

Woher kommen diese Plastikblumen? Warum sind diese Blumen aus Plastik?

Frei übersetzt von Özlem Kellenberger und Karl Kellenberger aus dem Türkischen Original «Plastikçiçekler» von Yildiz Kenter

Woher kommen diese Plastikblumen?

Woher kommen diese Plastikblumen?